Gesundheits-Talk 2017

Academia Superior

02.03.2017

Die Medizin hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt. Beinahe täglich hört man von neuen Möglichkeiten, Krankheiten zu behandeln oder ihnen vorzubeugen. Doch auch die Herausforderungen bleiben angesichts einer älter und global mobiler werdenden Gesellschaft ungebrochen groß.

Vier Expertinnen und Experten haben im Gesundheits-Talk, einer Kooperation zwischen ACADEMIA SUPERIOR und der OÖ Rundschau, über die zu erwartenden Fortschritte und neue Behandlungsmöglichkeiten in ihren jeweiligen Fachgebieten berichtet.

Viren, Bakterien und Resistenzen
Prim. Univ.-Prof. Dr. Petra Apfalter ist Vizerektorin der JKU und Dekanin der medizinischen Fakultät. Sie leitet das Institut für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin des Ordensklinikum Linz bei den Elisabethen und ist Spezialistin in Sachen Hygiene und Infektionskrankheiten.

„Drei von vier Befragten in Österreich wissen nicht, dass Antibiotika nur bei bakteriellen Infektionen helfen, nicht aber bei Viruserkrankungen.“

Für Apfalter ist derzeit eine der größten Herausforderungen der Medizin, die Bevölkerung noch besser aufzuklären. Denn einerseits entstehen regelmäßig Hysterien wegen Viren wie Zika, Ebola oder SARS, und andererseits nimmt die Zahl der Impfverweigerer zu. „Wo man Vorsorge treffen kann, soll man das tun“, ist die Medizinerin überzeugt. Ansonsten empfiehlt sie, das Leben ganz normal weiterzuleben, denn öfter duschen oder andauerndes Händedesinfizieren zeigt außerhalb des klinischen Alltags keine Wirkung.

Im Vergleich zu anderen Ländern hat Österreich sehr hohe Hygienestandards. Doch gerade durch die übertriebene Einnahme von Antibiotika und die zunehmende weltweite Mobilität der Bevölkerung und Güter kommt es immer wieder zu Ausbildungen von neuen multiresistenten Keimen. Um gegen diese besser vorbeugen zu können, arbeitet Apfalter mit ihrem Linzer Team an einer „Landkarte für Erregerresistenzen“ in Österreich, publiziert den Resistenzbericht Österreich des Bundesministeriums für Gesundheit und berät die Politik bei gesundheitspolitischen Entscheidungen.

Es sind jedoch nicht nur neue Keime und Krankheiten, sondern auch alte, die neue Aktualität erlangen, wie etwa der jüngste Masernausbruch zeigt. Das liegt daran, dass die Menschen nachlässiger werden bei Impfungen oder sie verweigern und damit die Immunität der Gesamtbevölkerung gefährden.

Da die Zulassung von neuen Antibiotika, an denen laufend geforscht wird, mindestens zehn Jahre dauert, gibt es derzeit einen Trend, wieder bewusst zurückzugegriffen auf alte Substanzen, die heute Dank Fortschritten der Medizin besser dosiert und gezielter eingesetzt werden können.

Rehabilitation, Prähabilitation und Avatare
Auch im Fach der physikalischen Medizin und dem Bereich der Rehabilitation verbessern sich permanent die Angebote. Sie kommt immer dann zum Einsatz, wenn aufgrund von Erkrankungen oder Verletzungen funktionelle Störungen beim Menschen auftreten. Ziel der behandelnden Ärzte, welche die Therapie koordinieren, ist es, die größtmögliche Funktionalität und Aktivität der Patienten zu fördern.

Erst seit 2012 ist im Rehabilitationsplan der österreichischen Sozialversicherungsträger eine Reha nach Krebserkrankungen verankert. Unter der Leitung von Prim. Dr. Daniela Gattringer, MSc nimmt hier die Abteilung im Ordensklinikum Linz der Barmherzigen Schwestern eine österreichweite Vorreiterrolle ein. Denn dort wird seit 2015 die noch sehr wenig bekannte Möglichkeit einer ambulanten onkologischen Rehabilitation angeboten. „Gerade Tumorpatienten haben oft sehr lange Krankenhausaufenthalte hinter sich und möchten in der Rehabilitationszeit nicht schon wieder von zu Hause weg sein. Für sie ist die ambulante Rehabilitation die perfekte Möglichkeit, Gesundheit, Familie und Beruf zu verbinden,“ weiß Gattringer.

„Während bei einer neurologischen oder kardiologischen Rehabilitation mitunter mit langen Wartezeiten zu rechnen ist, gibt es bei der onkologischen Rehabilitation freie Ressourcen. Das muss noch besser bekannt gemacht werden. Auch unter Ärzten.“

Gerade der demografische Wandel macht die Rehabilitation zu einem immer wichtigeren Bestandteil der Gesundheitslandschaft. Neue Anwendungen werden derzeit, etwa durch den erweiterten Einsatz von Stoßwellentherapien bei der Wundbehandlung oder bei Erektiler Dysfunktion, erprobt. Auch die Digitalisierung hält unter dem Stichwort Teletherapie Einzug: Mittels digitaler Therapiepläne können Patienten zu Hause individuell im Genesungsfortschritt betreut werden. Eigene Avatar-Programme führen durch die Therapie, überwachen die Heilung und melden Probleme an Spezialisten weiter. Derartige Methoden werden in Skandinavien bereits eingesetzt, können aber den Faktor Mensch nie ganz ersetzen: „Schon alleine das Reden über den Schmerz lindert ihn nachweislich“, betont Dr. Gattringer.

Der neueste Trend in der Rehabilitation ist die Prähabilitation, also die Vorbereitung auf Eingriffe oder sehr belastende Therapien, wie etwa große Operationen oder eine Chemotherapie. Durch die gezielte Vorbereitung wird der Genesungserfolg im Rahmen der Rehabilitation im Anschluss deutlich gefördert.

Time is Brain und der Chip im Hirn
Gerade die Neurochirurgie ist das beste Beispiel dafür, wie eng der medizinische Fortschritt mittlerweile mit dem technischen Fortschritt verzahnt ist. Prim. Univ.-Prof. Dr. Andreas Gruber, erklärte, wie das Gehirn von Patienten vor einer Operation mittels Magnetresonanz vermessen wird. Was es dem Operateur ermöglicht, im engen Raum des Kopfes bei der Operation, wie mit einem GPS, zu navigieren. Problematisch dabei, sind die Veränderungen des Gehirns während der Operation selbst – auch als „Brain Shift“ bezeichnet. Weshalb das neue Interoperative MR im Kepler Universitätsklinikum, welches eine Magnetresonanz auch während der laufenden Operation ermöglicht, die Zukunft der Operationssäle sein wird.

Die größten Fortschritte der letzten Jahre lagen im Bereich der Schlaganfallbehandlung. Denn mittlerweile ist bekannt, dass es dabei vor allem um den Faktor Zeit geht. „Time ist Brain“ lautet das Stichwort. Können Patienten in einem Zeitfenster von ca. sechs Stunden behandelt werden, haben sie gute Chancen, nur sehr geringe negative Nachwirkungen zu erleiden. Dabei sind die eigentlichen Ursachen für die den Schlaganfall auslösenden Blutpfropfen, noch relativ unbekannt. „Die zahlreichen interagierenden Faktoren werden in ihrer Komplexität derzeit noch nicht völlig durchschaut“, so Gruber.

Gerade das Gehirn in seiner Komplexität muss noch viel besser erforscht werden. Derzeit kann man bereits mit speziellen Hirnstamm-Implantaten bestimmte Nervenerkrankungen, die zur Taubheit führen, behandeln. Oder es werden Sonden ins Gehirn eingesetzt, die fehlerhaft arbeitende Zellen mittels eines ausgesendeten Interferenzmusters „übertönen“ und so die Symptome von Parkinson mildern. Für völlig unbegründete Science-Fiction hält der Neurologe allerdings Spekulationen über Hirninterfaces die eine externe Kontrolle von Menschen erlauben.

Genome Editing und der Asbest-Faktor
Humangenetiker Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger erklärte, dass die Genetik durch das „Next Generation Sequenzing“, also durch das, heute mögliche, schnelle und präzise Analysieren des individuellen menschlichen Genoms, völlig neue therapeutische und individualisierte Möglichkeiten eröffnet. Und mit CrisprCas9 ist erstmals die Möglichkeit, Genschäden aktiv zu reparieren, in greifbarer Nähe.

Gleichzeitig kommen dadurch jedoch enorme neue Herausforderungen, in Bezug auf die Abschätzung der Folgen dieser neuen Technologie, auf die Menschheit zu. Der Genetiker beschreibt dies als den „Asbest-Faktor“. Asbest wurde früher, aufgrund seiner guten Eigenschaften, im Gebäudebau eingesetzt. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es, sozusagen als „Nebenwirkung“, auch Krebserregend ist. Woraufhin der Einsatz wieder verboten wurde und das Problem gelöst wurde.

Nebenwirkungen sind jedoch auch bei genetischen Veränderungen in der menschlichen Keimbahn zu erwarten. Diese sind aber fast unmöglich vorherzusehen und können, einmal gemacht, nicht mehr wie beim Asbest einfach rückgängig gemacht werden. Sondern wirken sich langfristig auf alle nachkommenden Generationen der gesamten Menschheit aus. Trotzdem kann die Gentherapie –auch ohne Eingriffe in die Keimbahn – in Zukunft vielleicht eine Vielzahl an Krankheiten heilen.


zur Übersicht