Life Science Standort und medizinische Versorgungsqualität Österreichs durch Überregulierung in Gefahr

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20.02.2024

Österreich zählt zu jenen Ländern der EU, in denen überdurchschnittlich viel in Forschung und Entwicklung investiert wird. Das trifft auch auf den Medizinprodukte-Sektor zu, der den Life Sciences zugerechnet wird und auf eine lange und erfolgreiche Tradition zurückblicken kann. Durch das Inkrafttreten der EU-Verordnungen über Medizinprodukte (MDR) und Invitro Diagnostika (IVDR) im Jahr 2017 und verschärft durch das nationale MPG 2021, mit zum Teil drastisch gesteigerten regulatorischen Anforderungen, sind jedoch qualifizierte Arbeitsplätze in dieser Hochtechnologie-Branche und damit auch medizinische Innovationen von morgen in Gefahr.

EU-Verordnungen über Medizinprodukte und In-vitro Diagnostika erschweren die Entwicklung neuer Medizinprodukte

Mit den strengeren Qualitäts- und Sicherheitsstandards, die mit den EU-Verordnungen vorgeschrieben werden, steigt der Bedarf an hochqualifizierter Beratung sowie der Bedarf an Personal im Bereich der regulatorischen Compliance für Medizinprodukte, das derzeit am Arbeitsmarkt nicht in ausreichender Zahl verfügbar ist. Unweigerliche Folge daraus ist, dass die Entwicklungsdauer von Medizinprodukten und die Kosten im Gesundheitssystem deutlich steigen werden. Für Nischenprodukte, wie speziell für Kinder oder Betroffene seltener Erkrankungen benötigt, rechnet sich dieser Aufwand oft nicht mehr, sodass derartige Medizinprodukte bereits jetzt am Markt verloren gehen.

Gesamtkapazität der Benannten Stellen in der EU reicht (noch) nicht aus

Wesentlich mehr Unternehmen benötigen in Zukunft eine Benannte Stelle für die Zulassung ihrer Produkte, müssen ein umfangreiches Qualitäts-Managementsystem implementieren und zusätzlich verpflichtende klinische Studien durchführen. Aktuell sind dafür europaweit die Kapazitäten zu gering. Damit Österreich wieder vermehrt als Standort mit einem attraktiven Umfeld für MedizinprodukteherstellerInnen wahrgenommen wird, ist es dringend erforderlich, die Benennung der QMD Services GmbH gemäß MDR zügig voranzutreiben und endlich positiv abzuschließen.

Erschwernis für die biomedizinische Forschung an Universitäten und In-House Produkte in Gesundheitseinrichtungen

In Gesundheitseinrichtungen hergestellte und verwendete Medizinprodukte garantieren die individuelle Versorgung von PatientInnen, indem Medizinprodukte rasch entwickelt und angepasst werden können. Auch hier führen die gestiegenen regulatorischen Anforderungen zu Herausforderungen bei der Umsetzung in der Praxis.

PatientInnensicherheit und Versorgungsqualität stehen an oberster Stelle.

Die derzeitige Situation stellt sich so dar, dass einerseits innovative Medizinprodukte mit einer Vielzahl von lokalen, nationalen und europaweiten Programmen gefördert werden, während andererseits der europäische Marktzugang für diese Innovationen unter der an sich positiven Zielsetzung von mehr PatientInnensicherheit drastisch erschwert wird.

Das wird zwangsläufig für viele Start-ups und KMUs das Aus bedeuten, was bestehende hochqualifizierte Arbeitsplätze gefährdet, gleichzeitig die Entstehung von neuen Arbeitsplätzen und Unternehmensgründungen in Österreich behindert sowie bereits ausbezahlte Fördergelder verpuffen lässt.

Zudem sehen sich Großunternehmen veranlasst, verstärkt den Fokus auf ertragreiche Blockbuster zu legen und bewährte weniger gewinnbringende Produkte einzustellen. Gleichzeitig beginnen innovative (Nischen)-Produkte, auch von österreichischen KMUs, vom Markt zu verschwinden. Medizintechnische Innovationen sind entweder nicht oder nur sehr teuer und erst zeitverzögert, nach nunmehr verlängerten Entwicklungs- und Zertifizierungszeiten, verfügbar.

Nationale Maßnahmen können die Situation verbessern:

Aus- und Weiterbildung für regulatorische Anforderungen

Bildungseinrichtungen für Medizintechnik sollen mit Incentives angehalten werden, den steigenden Bedarf an Personal im Bereich der regulatorischen Compliance für Medizinprodukte durch entsprechende Aus- und Weiterbildungsprogramme abzudecken.

Bedeutung einer eigenen Benannten Stelle für Medizinprodukte in Österreich

Um den schnellen und leistbaren Marktzugang für heimische Medizinprodukte-Unternehmen wieder herzustellen, ist es dringend notwendig, die Bemühungen der QMD Services GmbH um ihre baldige Benennung gemäß MDR und vollumfängliche Arbeitsfähigkeit als Benannte Stelle mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu unterstützen.

Förderprogramme für Medizinprodukte-Unternehmen anpassen

Regulatorische Aufwände sollen als förderbare Kosten bei F&E Förderprogrammen anerkannt werden. Die Einführung eines niederschwelligen Förderinstruments (ähnlich Patent- oder Innovationsscheck) für Beratung zu regulatorischen und qualitätssichernden Maßnahmen wäre außerordentlich wichtig und potenziell sehr wirksam.

Ausbau von Infrastrukturen für klinische Studien an Krankenhäusern

Um die Durchführung der für die Zulassung von Medizinprodukten obligaten klinischen Studien in Österreich zu fördern und dadurch Know-How und entstehende Wertschöpfung im Land zu halten, sollen Koordinationszentren in Gesundheitseinrichtungen mit Förderungen ausgebaut und unterstützt werden.

Klinische Prüfungen bilden die Grundlage für innovative Medizinprodukte

Klinische Prüfungen führen häufig zu entscheidenden Weichenstellungen in Richtung Entwicklung innovativer Medizinprodukte und deren spätere Verfügbarkeit für die medizinische Versorgung. Sie sollten in der Durchführung nicht teurer oder aufwendiger sein als in anderen EU-Staaten um Wettbewerbsgleichheit am Standort Österreich sicherzustellen. Machbarkeitsanalysen zu klinischen Prüfungen können zudem eine wichtige Entscheidungsgrundlage dafür bilden, ob eine konkrete Entwicklung eines Medizinprodukts über ein (akademisches) Spin-off gestartet werden soll. Eine über die Sicherstellung von Patientensicherheit und Forschungsqualität hinausgehende Komplexität der Verfahren führt belegbar dazu, dass weniger klinische Prüfungen in Österreich durchgeführt werden1. In der Folge können auch weniger Start-ups entstehen.