OÖ führend bei der Implantation von sondenlosen Mini-Herzschrittmachern

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Micra Medtronic
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26.04.2017

Wir stehen am Beginn einer Revolution in der kardialen Stimulationstherapie. Sondenlose Mini-Schrittmacher werden direkt ins Herz implantiert, wodurch herkömmliche Komplikationen erspart werden können. Prim. Priv.-Doz. Dr. Clemens Steinwender und sein Team der Klinik für Kardiologie und internistische Intensivmedizin des Kepler Universitätsklinikums setzten im Jahr 2013 weltweit den ersten Mini-Herzschrittmacher Micra™ der US-Firma Medtronic einem Menschen ein und sind weltweit führend.

Wie erhält man die Ehre für einen weltweit führenden Medizintechnik-Konzern wie Medtronic erstmals hochinnovative Medizinprodukte in Linz in der Praxis anzuwenden?

Dr. Steinwender:
Meine Abteilung und ich selbst leben seit vielen Jahren eine gute und intensive Kooperation mit der Firma Medtronic. Diese bezieht sich vor allem auf die gemeinsame Durchführung von wissenschaftlichen Untersuchungen mit neuen Medizinprodukten wie implantierbaren Herzschrittmachern, Defibrillatoren, Stents für verengte Herzkranzgefäße oder spezielle künstliche Herzklappen. Bei diesen Untersuchungen kommt es sowohl auf eine große Expertise des gesamten medizinischen Teams bei der Implantation als auch auf viel Sorgfalt bei der Nachsorge der Patientinnen an. Beides kann meine Abteilung in hohem Maße bieten. So wurden wir beispielsweise bereits mehrfach aufgrund der höchsten internationalen Datenqualität bei medizintechnischen Untersuchungen ausgezeichnet. Auch eine der strengsten Instanzen weltweit, die amerikanische Gesundheitsagentur Food and Drug Administration (FDA) hat unserem Zentrum nach eingehender Prüfung ein einwandfreies Zeugnis als ausgezeichnetes Studienzentrum ausgestellt.

All diese Gründe sowie ein persönliches intensives Bemühen meinerseits als auch von Medtronic Österreich haben dazu geführt, dass ich nach einer ersten Vorauswahl, bei der etwa 150 Zentren weltweit gescreent wurden, mit Vertretern der übriggebliebenen 15 Zentren in die Zentrale in Minneapolis, USA eingeladen wurde. Dort erhielten wir eine intensive Micra-Schulung und mussten diesen in wechselnden Teams in narkotisierte Schweine implantieren als auch verschiedene Komplikations-Szenarien durchspielen. Alle Prozeduren wurden dabei mit mehreren Kameras gefilmt und danach durch Medtronic ausgewertet. Zwei Wochen nach meiner Rückkehr aus den USA erfuhr ich dann telefonisch, dass wir als Zentrum, dass die weltweit ersten Implantationen durchführen sollte, ausgewählt wurden!

Dazu möchte ich erwähnen, dass die Entscheidung nicht nur aufgrund meiner offensichtlich guten „Performance“ in den USA und meines exzellenten Teams zu unseren Gunsten gefallen ist, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass es uns gelungen ist, sämtliche notwendigen Zustimmungen, die solche „first-in-man“-Studien erfordern, schneller als alle anderen „Konkurrenten“ zu bekommen. Besonders die Ethikkommission OÖ unter der Leitung von Prof. Fischer, als auch die entsprechenden Stellen im Bundesministerium für Gesundheit und natürlich im eigenen Haus haben durch ihre kompetente und schnelle Bearbeitung der Anträge diesen Erfolg mit ermöglicht. Diese Erfahrungen zeigen, wie wichtig auch zukünftig effiziente regulative und organisatorische Belange für Erfolge im internationalen Wettbewerb sein werden.

Die Firma Medtronic hat jedenfalls ihre Entscheidung für uns nicht bereut. Die „first-in-man“-Prozeduren verliefen erfolgreich und völlig komplikationslos. Der erste erfolgreiche Einsatz dieser neuen Technologie war auch dem Wall Street Journal einen ausführlichen Bericht wert und hat sich positiv auf den Aktienkurs des Unternehmens ausgewirkt.


Was ist das neuartige an den Mini-Herzschrittmachern von Medtronic, die Sie seit 2013 Patienten im Rahmen wissenschaftlicher Studien implantieren? Und was sind die Vorteile?

Dr. Steinwender:
Der sondenlose Herzschrittmacher bedeutet eine technologische Revolution in der elektrischen Stimulation des Herzens.

Bemerkenswert ist, dass das Grundkonzept der bisherigen Herzschrittmacher-Therapie seit Einführung vor mehr als 60 Jahren unverändert ist. Dieses basiert auf einer unter dem Schlüsselbein implantierten Rechnereinheit mit Impulsgenerator und Batterie sowie der von dort via Venen zum Herzen reichenden Elektroden. Die Elektrodenspitze dient dabei sowohl als elektrisches Interface zum Herzmuskel. Dieses Grundkonzept ist insofern von Bedeutung, da die Generatorloge und die Elektroden, als „Achillesferse“ der konventionellen Schrittmachertherapie gelten. Eine große Analyse hat gezeigt, dass mit diesen Komponenten assoziierte Komplikationen (Blutergüsse, Infektionen, Elektrodenbrüche,...) in ca. 10% aller Herzschrittmacherpatienten auftreten und in 4% aller Patienten zu chirurgischen Eingriffen führen.

Zur eventuellen Lösung dieser Probleme wurden sondenlose Schrittmacher entwickelt, die sämtliche oben genannte Funktionseinheiten in einer kleinen, etwa 2 Gramm schweren Kapsel vereinen. Die geringe Größe und Masse dieser Schrittmacher ermöglicht eine kathetergestützte Implantation direkt in den rechten Ventrikel, ohne das zuführende venöse System dauerhaft zu belasten. Auch eine Generatorloge ist dabei selbstverständlich nicht notwendig.

In der ersten längeren Nachbeobachtung (12-18 Monate) von 726 implantierten Micra™ konnten wir gemeinsam mit anderen Institutionen zeigen, dass nur mit sehr wenigen Komplikationen zu rechnen ist. Die Rate war dabei im Vergleich zu einem Kollektiv von 2667 Patienten mit konventionellen Schrittmachersystemen um 48% erniedrigt, was vor allem auf das völlige Fehlen von Funktionsverlusten oder Infektionen der sondenlosen Schrittmacher zurückzuführen war.

Damit werden sich für die Zukunft Vorteile vor allem durch die verminderte Rate an den gefürchteten Infektionen ergeben, welche uns im klinischen Alltag immer wieder vor große Herausforderungen stellen.


Wie sieht die gemeinsame Kooperation mit Medtronic aus und welche Zukunftspläne haben Sie?

Dr. Steinwender:
Die Kooperation mit Medtronic in Hinblick auf das Projekt „Sondenlose Herzschrittmacher“ läuft gleichzeitig in 2 Bereichen.

Der erste Bereich beschäftigt sich mit der Implantationstechnik der sondenlosen Schrittmacher, die sich fundamental von der Implantation konventioneller Schrittmacher unterscheidet und daher von vielen Implanteuren noch erlernt und trainiert werden muss. Durch meine Erstimplantationen und unsere  Expertise – mit derzeit 130 implantierten Geräten sind wir das Zentrum mit der weltweit größten Erfahrung  - waren wir an der Entwicklung der international genormten Standard-Implantations-Prozedur federführend beteiligt. Mein Kollege, Oberarzt Dr. Kypta und ich organisieren regelmäßig internationale Implantationskurse an unserer Abteilung, bei denen Kollegen aus Europa die Möglichkeit haben, neben Therorie- und Praxis-Einheiten (am Simulator) auch als Beobachter an Live-Implantationen unserer Abteilung teilzunehmen. Weiters unterstützen wir Ärzte und Abteilungen, die mit einem Micra™-Programm beginnen, vor Ort bei den ersten Implantationen. So haben wir zahlreichen Zentren in Österreich, Deutschland und der Schweiz bei den ersten Implantationen helfen können. OA Kypta war gerade in Israel, um mit befreundeten Kardiologen ebendort ein sondenloses Schrittmacher-Programm zu starten, ich selbst am Universitätsklinikum in Hamburg, um eine Micra™-Implantation bei einem Jugendlichen mit hochkomplexem angeborenen Herzfehler durchzuführen.

Der zweite Bereich ist die technologische Weiterentwicklung der sondenlosen Herzschrittmacher. Die derzeitigen technischen Möglichkeiten des Micra™ ermöglichen lediglich die Versorgung von etwa 20% der Patienten, die einen Schrittmacher benötigen. Um in Zukunft mehr Patienten mit sondenlosen Schrittmachern und deren Vorteilen versorgen zu können, sind daher zahlreiche technologische Herausforderungen zu meistern. Um die für die Weiterentwicklung notwendigen Fragen zu stellen und nächsten Schritte zu setzen, benötigen die Techniker Feedback von klinischen Anwendern, das sie in entsprechenden Meetings von erfahrenen Implanteuren wie uns bekommen. Die entwickelten Hypothesen und ersten technischen Lösungen werden dann im Tierlabor in Minneapolis oder mittels Untersuchungen an unserer Abteilung  (z.B. durch zeitlich begrenzte Software-Updates von bereits implantierten Geräten oder speziellen Messungen während rhythmolgischer Untersuchungen). Dazu sind auch immer wieder Reisen nach Minneapolis erforderlich, entweder speziell dafür durchgeführt oder bei Kongress-Aufenthalten in den USA kombiniert werden.

Diese internationalen Kontakte zu Universitätskliniken und Medizintechnikr sind für unsere Abteilung und das Kepler Universitätsklinikum in mehrerer Hinsicht ein Gewinn. Sie eröffnen Möglichkeiten zur wissenschaftlichen Kooperation - die schon in zahlreichen hochrangigen Publikationen Niederschlag gefunden hat -, zur Partizipation an Folgeprojekten und zum Erhöhen des fachlichen Renommees, was wass auch von anderen Playern in Gesundheitswesen, Medzintechnik und Pharma-Industrie aufmerksam verfolgt wird.


Ihre Klinik für Kardiologie und internistische Intensivmedizin kooperiert nun auch mit dem Institut für angewandte Physik der Johannes Kepler Universität. Woran arbeiten Sie da genau?


Dr. Steinwender:
Es gibt ein gemeinsames Forschungsprojekt mit dem Institut für Angewandte Physik der JKU unter Leitung von Prof. Klar, das von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) unterstützt wird. Das Projekt, das abgekürzt „LaMiCellPro“ heißt, wird von uns mit der Arbeitsgruppe von Prof. Heitz an der JKU betrieben und beschäftigt sich mit Fragestellungen rund um die Oberflächen-Eigenschaften von implantierbaren medizinischen Geräten wie Herzschrittmachern. Im konkreten Fall wird getestet, ob und wie die Modifikation der Titanoberfläche von Schrittmachern mittels Laserenergie das Wachstumsverhalten von Gefäß- und Bindegewebszellen auf diesen Oberflächen beeinflusst. Dies ist besonders bei sondenlosen Schrittmachern von großer Bedeutung, als bei diesen die Geschwindig- und Vollständigkeit des Überwachsens bei verschiedenen klinischen Fragestellungen von besonderer Bedeutung sind.

Die Anbahnung und Durchführung dieses noch laufenden Projekts hat mir in vielerlei Hinsicht die Vorteile durch Synergien einer klnischen Abteilung und eines universitären Instituts gezeigt. Wir profitieren dabei sehr stark von den zahlreichen beeindruckenden Stärken des JKU-Institus beim Schreiben von Förderungsanträgen, beim Organisieren des Projekts und natürlich beim Arbeiten mit den hochtechnisierten Versuchsanordnungen und den entsprechenden Stammzell-Linien für die in-vitro-Versuche. Die JKU wiederum profitiert von unseren Kontakten zu den Medizintechnik-Unternehmen und den verschiedenen klinischen und Anwender-orientierten Fragestellungen. So sind im Laufe der letzten Monate durch die Zusammenarbeit mehrerer involvierter Arbeitsgruppen auch zusätzliche Fragestellungen und Projekte entstanden. Insgesamt erwarten wir uns durch diesen positiven Effekt eine sich ständig ausweitende und intensiverte Zusammenarbeit zwischen vielen klinischen Abteilungen und JKU-Instituten.


Die Arbeit Ihrer Klinik zeigt, wie wichtig die Kooperation zwischen Unternehmen und Medizinern ist, damit Innovationen entstehen können. Was möchten Sie Ihren Kollegen mit auf den Weg geben?

Dr. Steinwender:
Unser Beispiel zeigt, dass sich eine jahrelange Kooperation, die von Verlässlichkeit, Sorgfalt und hochwertiger Patientenversorgung geprägt ist, sowohl für MedTech-Unternehmen als auch für klinische Abteilungen auszahlt. Es hat sich auch gezeigt, dass durch konsequente Arbeit an medizinischen und organisatorischen Belangen ein Maß an Qualität und Effizienz erreicht werden kann, das von Entscheidungsträgern auch teilweise weltmarktbeherrschender Unternehmen wie Medtronic gesehen und über die Möglichkeiten renommierterer internationaler Institutionen (wie amerikanischer Elite-Universitäten und deren Kliniken) gestellt wird. Es zahlt sich also aus, eigene Bereiche und Strukturen zu Exzellenz zu führen und diese dann ohne Scheu in den internationalen Wettbewerb zu schicken. Ich weiß, dass einige andere klinische Bereiche im Kepler Universitätsklinikum ebenfalls diese herausragenden Voraussetzungen haben und diese so wie wir in internationale Erfolge ummünzen konnten oder werden.

Die Zusammenarbeit mit der JKU zeigt uns immer wieder, welches Potential an Synergien sowohl in den Universitätsinstituten als auch im Bereich der hervorragenden MedTech-Unternehmen in OÖ vorliegt. Hier gibt es zahlreiche für uns noch unentdeckte Schätze zu finden bzw. die mannigfaltigen Möglichkeiten, die sich bieten, dann gemeinsam zu nutzen. Der Medizintechnik-Cluster mit seinen zahlreichen Veranstaltungen bietet sich hier wunderbar als Plattform für Kommunikation und erste Meetings an. Hier kann die erste – aber oft sehr große – Hürde gemeistert werden, die entscheidenden Player aus klinischer Medizin und Forschung, universitären Instituten und den entsprechenden Unternehmen aufeinander aufmerksam zu machen und miteinander sprechen, diskutieren, „brainstormen“ und im besten Sinne fantasieren zu lassen. Wenn ich an die so vielen und so unterschiedlichen Bereiche in Medizin, Universität und Unternehmen denke, bin ich mir sicher, dass in Linz und Oberösterreich in diesen Bereichen viel und Aufsehen erregendes entstehen wird.